Wessis in Weimar und Rudolstadt

Rezension von Martin Modes

von theater-spiel-laden
Foto: Martin Modes

Rudolstadt, Schillers heimliche Geliebte, und Bayreuth, mit Wagner und Wilhelmine Weltkulturerbestadt – zwei deutsche Kulturstädte also, die seit 30 Jahren über eine Städtepartnerschaft „verheiratet“ sind, haben am 3. Oktober 30 Jahre Städtepartnerschaft und deutsche Einheit gefeiert. Und das mit einem ganz besonderen kulturellen Höhepunkt: Mit einer szenischen Lesung aus Rolf Hochhuths modernem und seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gespielten Stück „Wessis in Weimar“.

Johanna Binger-Hochhuth, die als Ehrengast zusammen mit Vertretern des Fördervereins vom Deutschen Theater Berlin die Festveranstaltung im Löwensaal Rudolstadt erlebte, war die Ergriffenheit anzumerken, als sie am Ende der Premiere und des Festaktes das Wort ergriff: „Mein Mann hätte sich sehr gefreut, vielleicht hätte es Einwände gegeben, aber er wäre glücklich gewesen“, sagt die Witwe von Rolf Hochhuth, zu den Beteiligten, die es ermöglicht haben, das Vermächtnis des am 13. Mai verstorbenen bedeutendsten deutschen Gegenwartsdramatikers zu erfüllen: Sein Stück am 30. Jahrestag der Deutschen Einheit an einer Thüringer Bühne zu spielen.

Wenn alle sich anstrengen, um das zu erreichen, was sie wollen, dann schaffen sie es – unter diesem Motto konnte das Projekt entstehen. Die Aufführung als szenische Lesung, eingerichtet durch den namhaften Weimarer Regisseur Peter Rauch und umgesetzt von Darstellern des theater-spiel-landens Rudolstadt, eines der besten Amateurtheater Deutschlands, zusammen mit Toni Steidl am Flügel, war mit Spannung erwartet worden. Insbesondere von den Initiatoren, dem Rudolstädter Bürgermeister Jörg Reichl und Professor Dr. Michael Schäfer aus Berlin, der erstmals seit 30 Jahren das Einheitsjubiläum in seiner thüringischen Heimat verbringen konnte. Er bezeichnet „die in Deutschland einmalige Festveranstaltung“ mit Wessis in Weimar als „Husarenstück“. Diese beeindruckte an diesem Tag die geladenen Festgäste aus Rudolstadt und die Partnerschaftsdelegation aus Bayreuth mit Oberbürgermeister Thomas Ebersberger. Zur Delegation gehörte auch Altstadtrat und Mitinitiator der Städtepartnerschaft Gerhard Gollner, der sich hinterher äußerte: „Unglaublich, was die Schauspieler hier geleistet haben“.

Die Schauspieler – und mindestens einer davon ist eine Legende der Partnerschaft, nämlich Ensemblechef Frank Grünert und Vizepräsident des Bundes Deutscher Amateurtheater, der schon während der Geburt der Partnerschaft vor 30 Jahren mit seinem Ensemble in Bayreuth aufgetreten war –  hatten dabei „scheinbar“ gar nicht so viel zu tun, war es doch „nur“ eine szenische Lesung aus Rolf Hochhuths Stück über den Ausverkauf des DDR-Produktionsvermögens durch die Treuhand. Das Lob dafür zeigt, dass es eben weit mehr war. Die Komprimierung auf den Prolog und zwei markanten von neun Szenen, und der bewusst angesetzte Termin am 30. Jahrestag der Deutschen Einheit machen die Herausforderung deutlich. Nur wenige Kilometer von Weimar entfernt, erfüllten die Rudolstädter Hochhuths Vermächtnis, zeigten außerdem, wie man alternativ und inspirierend dieses Datum würdig begehen kann.

Im Prolog kommt Frank Grünert arg in Bedrängnis. Als Treuhandchef wird er von einer enervierenden Juristin (Gabriele Olitzsch) als Verantwortlicher für das Versagen des Staates angeklagt. Durchaus gute Absichten unterstellt, habe er nicht nachdrücklich nachgedacht und die Bürger zum zweiten Mal verraten.

In der nächsten Szene sind sie dann zu erleben, die Wessis in Weimar: Ein Geschwisterpaar (Grünert und Amelie Alsleben), die sich über das Goethe-Hotel Weimar hermachen. Es scheint ihr Enthusiasmus und ihr Investitionswillen sind zukunftsgerichtet, während die Hotelangestellten (Gabriele Olitzsch) zögerlich, mutlos und verängstigt agieren. Als ob diese beiden Wessis in Weimar gar nicht so heuschreckenhaft wären.

Foto: Martin Modes

Nach dieser irritierenden Abhandlung des Geschehens ist es die letzte und längste Szene, die einem alten Ehepaar gehört, das im Dorf nahe Leipzig in einem Bauernhaus lebt. Sie sind verzweifelt, hatte die DDR sie doch noch wenige Monate vor ihrem Untergang zum Verkauf ihres Besitzes im Braunkohlerevier gezwungen, für wenige Pfennige pro Quadratmeter. Und denen sagt der neue Staat nun, das war alles rechtens. Und nach der zweiten Enteignung macht man ihnen ein obszönes Angebot: Für zehntausend Mark dürfen sie eine Garage zu ihrer neuen Pappmachéwohnung am Rande Leipzigs kaufen – das ist dann genauso viel, wie sie für ihr wertvolles bäuerliches Anwesen beim Zwangsverkauf erhalten hatten. Philemon und Baucis, die in Goethes Faust II von Faust und Mephisto um ihren Besitz gebracht werden, nimmt der Dramatiker Hochhuth als Muster für das Bauernehepaar. Am Ende verhandelt diese Szene aber eins: Er will angesichts der Existenzvernichtung am Seil aus dem Haus springen. Sie scheitert, ihn davon abzubringen und will dann wenigstens mit ihm zusammen gehen. Den beiden jungen Darstellern Amelie Alsleben und Maximilian Merkel, die hier bewusst mit den Rollen der verzweifelten Alten besetzt sind, gelingt in dieser bewegenden Szene ein Gänsehauteffekt.

Jenseits der bedrückenden Geschichten, die die Wut über das Unrecht hochkommen lassen, der Hochhuth damit dramatisch Ausdruck verliehen hat, gibt es eine finale Erkenntnis: Nichts, keine Lebenserfahrung und kein Unrecht ist es wert, deshalb das Geschenk des Lebens wegzuwerfen. So kann man Toni Steidls ironische Einspielungen am Piano als Satire verstehen oder als die Kraft des optimistischen Klangs wahrnehmen.

Das von Remondis, der Thüga AG und der Ilse-Holzapfel-Stiftung geförderte Projekt wird am 8. November im Theater Rudolstadt aufgeführt.

 

Martin Modes

 

 

Martin Modes rezensiert Theaterinszenierungen in den Regionen Bayreuth und Rudolstadt.

Er ist Mitglied im Städtepartnerschaftsbeirat der Stadt Rudolstadt mit Bayreuth. Von Bayreuth und Rudolstadt aus dokumentiert er die Städtepartnerschaft seit der Vertragsunterzeichnung im Juli 1990 immer wieder  – und erlebte damals erstmals den theater-spiel-laden bei einem Gastspiel in Bayreuth.

 

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