Eine gelungene Provokation: „Wessis in Weimar“ zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit

Rezension von Lara Wenzel

von theater-spiel-laden
Foto: Michael Wirkner

Der kürzlich verstorbene Autor Rolf Hochhuth hatte die Hoffnung sein Stück „Wessis in Weimar. Szenen aus einem besetzten Land“ zum Tag der deutschen Einheit aufgeführt zu sehen. Zum 30. Jubiläum der Wiedervereinigung verwirklichte der theater-spiel-laden diese Vision in einer szenischen Lesung in Rudolstadt, wenige Kilometer von Weimar entfernt. Im Rahmen eines Festaktes, an dem der Tag der deutschen Einheit und die 30-jährige Städtepartnerschaft mit Bayreuth gefeiert wurde, bildete die Inszenierung „Wessis in Weimar“ im Rudolstädter Löwensaal einen kontroversen Abschluss. Hochhuths dokumentarisches Drama, ein auf langer Recherchearbeit beruhendes Konglomerat von Zitaten, Zeitungsartikeln und Einzelschicksalen, wurde unter der Regie des Weimarer Theatermachers Peter Rauch auf drei Schlüsselszenen konzentriert. Die Schauspieler*innen Gabriele Olitzsch, Frank Grünert, Amelie Alsleben und Max Merkel destillieren den oft sperrigen Text in der Lesesituation, setzen zurückgenommene Gesten und chorisches Sprechen ein und stellen so den Inhalt des Dramas, eine explizite Anklage der Treuhand-Gesellschaft, heraus. Unterteilt wurden die drei Szenen von Toni Steidl am Piano, der mal zögerlich mal energisch ein paar Takte aus symbolträchtigen Musikstücken spielt und so das Geschehen auf der Bühne kommentiert.

Dass die Lesung dieses Dramas im Rahmen eines Festakts ein gewagter Schritt ist, kündigt sich bereits in der Rede des Rudolstädter Bürgermeisters Jörg Reichl an. Er betont die Bedeutung des Autors und verweist auf noch immer bestehende ökonomische Differenzen zwischen Ost und West, jedoch stellt er auch heraus, dass Hochhuths Text nur eine Momentaufnahme der Treuhand sei, sich heute schon viel getan hätte. Warum sich Reichl so vorsichtig zum Drama positioniert, wird im zu Beginn gelesenen Prolog überdeutlich. Es ist eine radikale Anklage an den Präsidenten der Treuhandanstalt Detlev Rohwedder (Frank Grünert). Die Sozialdemokratin Hildegard (Gabriele Olitzsch) liest ihm schonungslos die Leviten. „Sie lassen den DDR-Deutschen zehn Prozent, rauben ihnen aber neunzig. Dafür wird man sie ‚hinrichten‘.“, prophezeit sie ihm. Die Ermordung des Präsidenten durch die RAF, das Finale der Szene, wird jedoch ausgespart. Der Höhepunkt der komprimierten Textcollage folgt später. Es schließt sich das Zusammentreffen eines Spekulanten-Geschwisterpaares mit einer Mitarbeiterin des Goethe-Hotels Weimar an. Die Weimarer Größen Goethe, Schiller und Wieland sind auch „Wessis in Weimar“, hier schlagen jedoch zwei Investoren auf, die die Stadt nicht bereichern, sondern aufkaufen werden. Dafür versuchen sie die Angestellte zu ihrem Spitzel zu machen und fragen sie zynisch, warum die Belegschaft nicht selbst auf die Idee käme das Hotel zu kaufen. In der stark verkürzten Szene tritt die Hypokrisie der Presse zutage, die vergebliche Hoffnungen auf die „Wahrung des Volkseigentums“ schürte, die in Ausverkauf und Privatisierung endeten.

Foto: Michael Wirkner

Die finale Szene der Lesung ist das intime Gespräch eines Ehepaares, die ihr Bauernhaus, das sie Jahrzehnte glücklich bewohnt haben, quasi für nichts verkauft haben. Weichen soll es für den Braunkohleabbau und sie sollen umquartiert werden in eine winzige Wohnung mit Wänden wie aus Pappe. Man folgt gebannt Amelie Alsleben und Maximilian Merkel, die mal wütend erregt dann wieder in einer amüsierten Verzweiflung lesen. Das sich liebende Paar, das von außen in die Ausweglosigkeit gestürzt wurde, zieht den gemeinsamen Selbstmord ihrer Entwurzelung vor. In den gelesenen Regieanweisungen wird der Vorgang beschrieben bis hin zum letzten Akt ihrer Loyalität, dem Aufhängen in ihrem Bauernhof.

Die Inszenierung, die so mit der Aussage ‚Die Treuhand tötet.‘ endet, ist besonders im Rahmen dieses Festakts eine gelungene Provokation. Die Zuschauer*innen sind gezwungen sich zum Gehörten zu verhalten. Die Lesung wird zur Anklage und Aufforderung an die vielen anwesenden kommunal Politiker*innen das Nachwirken der Treuhand-Gesellschaft bis in die Gegenwart zu verfolgen und die weiter bestehenden Ungleichheiten zwischen Ost und West nicht hinter der proklamierten Einheit zu relativieren. Abschließend meldet sich noch einmal der Ehrengast Johanna Binger-Hochhuth zu Wort. „Mein Mann hätte sich sehr gefreut.“, sagt sie. Ein besonderes Prädikat von der Witwe des Provokateurs Rolf Hochhuth, der die Lesung leider nicht mehr miterleben konnte.

 

Lara Wenzel

B.A. Theaterwissenschaft und freie Autorin, Leipzig

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